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Samuel Beckett:  NICHT ICH - DAMALS - GLÜCKLICHE TAGE

J. P. Sartre  Virginia Woolf

von Falk Bayerl

Schweigen als Sprache - NICHT ICH

Solange der Mensch spricht, lebt er. Schweigen ist nach allgemeiner Übereinkunft der Tod – die absolute Stille. Sprechen heißt Denken: umgekehrt; Denken heißt Sprechen, heißt Leben. So das „Ich denke, also bin ich“, des Descartes. Leben eine Funktion des Gehirns. Die Amplitude auf dem Display gibt Auskunft über Leben und Tod.                         

Samuel Becketts Dramatik ist radikal. Diese Einsicht ist wenig neu; kaum neuer die, dass seine Dramen stets wieder ins Metaphysische verzeichnet werden. Metaphysik soll den Schmerz übers Misslingen von Welt, mehr noch übers Scheitern des Subjekts in ihr hinwegtrösten. Die stetige Wiederholung des altbekannten Kreislaufs: den Versagungen im Realen antwortet der Ruf nach Religion. Doch Kunst als neue Metaphysik oder als Palliativ zum Leben – so Nietzsche wohlmeinendes Diktum, macht sich nicht gemein mit Theologie, welche die beklagte Schlechtigkeit der Welt im projizierten Jenseits eines Danach aufzufangen und so die bestehenden Verhältnisse getröstet fortzuschreiben sucht.

Nicht Ich bezeugt mit jedem Wort, das nicht gesprochen wird, dass das Subjekt allenfalls negativ überdauert – sich selbst verneinend, wo Welt es  unwiderruflich verneint hat.

Mit seiner radikalen Verneinung des Ichs als Ausdruck eines Rettungsversuchs, der um sein Scheitern weiß, scheint Beckett in der Nähe gegenaufklärerischer Zeitgeister. Nach deren Verständnis das in Geschichte dispergierte Subjekt sich auf eine Zeichenkategorie reduziert im Simulationsszenario. Die Suggestion solcher Wirklichkeit schlägt die Brücke zum global Konsumtiven, geht aus von einem vermeintlich einmal faktisch gewesenen Ich, worauf man, nachdem man dieses zum Simulierten befördert, zurückgreifen könne wie auf abgelegte Kleider, die man der Anschauung halber noch im Schrank aufbewahrt. Subjektivität wird auf diese Weise verdünnt zur Ressource, deren man sich jederzeit nach Gesetzen des Marktes bedienen oder beim Anhauch von gelegentlichem Weltschmerz meint erinnerungsselig sich darauf berufen zu sollen.

Dagegen Becketts Nicht Ich. Dessen Radikalität einer Verneinung ist in allen Fibern vom Wissen um das Noch-Nicht von Ich durchsetzt. Der Schmerz darüber streift den Wahnsinn. Es ist der Wahnsinn einer Welt, die im Selbstgenügen schrillen Lärmens das Versprechen, was Welt und Ich sein könnte, zu übertönen trachtet.

„Schreien!“, sagt sie, die Namenlose und schreit. „Dann lauschen!“ Ihr Schrei bleibt bloßer Reflex, festgeschrieben im programmierten Lauf der Welt. Es gibt keine Schreie mehr, wo die Luft von Schreien widerhallt; auch keine sagbare Utopie, da sie ausgesprochen bestenfalls zum Religionsersatz verkommen müsste.

Die Befremdung durch die radikale Verneinung bleibt ungebrochen, gerade weil sie, die Frau, die spricht, an der strikten Verweigerung des Ichs festhält, das sie nicht werden will, weil sie es nicht sein kann.

DAMALS - das unverselle Bewußtsein

Damals scheint auf den ersten Blick eher ein Stück streng durchkomponierter Prosa denn die Vorlage für ein Spiel auf dem Theater zu sein.

Durchkomponiert im musikalischen Sinn ist es der Form nach. Thematisch sind drei Ebenen durch die ersten drei Buchstaben des Alphabets - ABC - charakterisiert, entsprechend dem Grundschema der Sonate. Die Abfolge ist indes nicht ABC, sondern für die ersten drei Sequenzen: ACB. Die Folge ACB wird zweimal wiederholt, dann erfolgt der Wechsel zu CAB. Bereits der nächste Schritt bringt einen abermaligen Wechsel zu CBA, zweimalige Wiederholung, dann BCA, erneuter Wechsel zu BAC mit dreimaliger Wiederholung. Schluß.

Insgesamt sind es 36 Einzelsequenzen, die durch Dreiergruppen in zwölf Blöcke schematisierbar sind. Und es entsprechen den drei Buchstaben ABC, die in der alphabetischen Reihenfolge niemals auftreten, drei thematische Schwerpunkte: ‘Damals, als du rüberfuhrst das letzte Mal, um zu sehen, ob die Ruine noch da war’ (A) auf der Suche nach der Kindheit ‘Als du reingingst aus dem Regen’ (C) Alter und Einsamkeit ; Auf dem Stein zusammen in der Sonne’ (B) Erinnerung an erste Liebe. Es ist dies auch ein ABC des Lebens. Nach der real ablaufenden Zeit ergibt sich aus der Themenzuordnung die Folge ABC also entsprechend der Chronologie des Lebens. A steht für die Suche nach der verlorenen Kindheit, B  Erinnerungen an die erste Liebe, C die 'Wanderjahre und Alter'.

Die Gültigkeit des Zeitkontinuums hat indes keine Gültigkeit fürs Bewusstsein des Ich's. In diesem ist die Linearität von Zeit aufgehoben, ist Gleichzeitigkeit, die nach der Aleatorik der durch Sinnesreize, Assoziationsketten und davon angestoßenen Erinnerungen sich gestaltet. Die Materialität des Bewusstseins entsteht aus Realem, einem Realen oder Faktischen, das sich nach dem Prinzip: Erinnern ist Erfinden (Beckett) zu einem je fürs Subjekt verbindlichen Mikrokosmos fügt.

Proust ist nicht fern, gewiss. Doch Beckett nimmt eine andere Perspektive. Es bedarf nicht der Madeleine, nicht eines Prellsteins, an dem der Held sich stößt, um unmittelbar in die Vergangenheit hineinzustolpern.

Vielmehr gründet die Form einer sich konkreti-sierenden Individualität, daraus das Universum entsteht, im Bewusstsein, das als das je einzelne, an dem man gegen jede Einsicht festhält, in ein universelles immer schon übergegangen ist. Universalität aber ist nicht staffiert mit der Hybris eines absoluten Bewusstseins, das Welt und sich als Einheit eines fortschreitenden Wissens weiß.

Im Gegenteil schließt es sich von solch frag-würdig gewordenen Versprechungen aus, erweist sich in der lange vor der Zeitrechnung bereits begonnenen Wiederholung als das Immergleiche.

Im Schrecken vor solcher zum Bersten angefüllten Leere werden Geschichten erfunden. Doch künden die erfundenen Geschichten nicht von einem Anderen, nein, sind stets die gleichen. So trägt das Bewusstsein die Reduktion mit sich selber aus, indem es verzweifelt das immer schon Gewesene zum Individuellen erhebt, während das Universum vom Raunen stets ganz der gleichen Geschichten widerhallt.

GLÜCKLICHE TAGE

Warten auf Godot, Becketts erstes Stück, macht noch einmal ernst mit dem realistischen Drama - scheint es: Zwei Personen im dramatischen Dialog miteinander verbunden; andere Personen treten auf und treten ab. Das Drama nimmt mit seinem Anfang und seinen Fortgang seinen in einer unendlichen Zahl von Theaterstücken erprobten Lauf - Ende gut, Alles gut? Aber es ereignet sich nicht, weil nichts sich ereignet. Oder ist eben dies das Drama, die Tragödie? Was bleibt ist Warten, daß das Drama sich ereignen möge, irgendein Geschehen, das den gegenwärtigen Zustand verändert. Die Hoffnung, dass etwas geschehen möge, trägt sichtbarGlückliche Tage Plakat 3x4 cm einen Trauerflor.

In GLÜCKLICHE TAGE ist die Illusion gelingender Kommunikation zwischen Menschen getilgt: Eine Frau sitzt bis "zu den Titten im Sand". "Was bedeutet das. Was hat das zu bedeuten?", stellt ein vorbeikommendes Paar laut nachdenkend die Frage stellvertretend für das Publikum. Und auch die Frage, ob sie, die da im Sand eingegraben ist, etwas drunter hat, stellt sich das Paar. Die Frage stellen sich mit gleichem Eifer auch Zuschauer - wahrscheinlich, wie Kritiker sie  sich vermutlich stellten, ohne die Frage in ihren Kritiken zu wiederholen als interessante Petitesse -  damals im Jahr der Uraufführung 1961.

Glückliche Tage eine Komödie? Worüber lachen? Über das Unglück der anderen, sagt Beckett. Es ist unser eigenes. Sein grausamer Spott trifft ins Schwarze.

Schwarz ist auch der Humor Winnies in dieser Komödie, die auch eine Parodie auf Szenen einer Ehe ist, auf höchstem abstraktem Niveau aber - weil so erdnah...

"Oh, du wirst heute mit mir sprechen! Wieder ein glücklicher Tag.", enthusiasmiert sich Winnie. Kleiner Anlass zu ihrem großen Glück: Willi, Winnies meist unsichtbar bleibender Gemahl, der hinter dem Sandhaufen haust, in dem Winnie im ersten Akt “bis zu den Titten”, im zweiten Akt dann bis unters Kinn eingegraben steckt - Willi hat nach langen Minuten stummen Schweigens, eine ihrer vielen Fragen mit einem knappen "Er" beantwortet. Eine Antwort, wie knapp und bündig auch immer, besser als keine Antwort. Das ist das Glück, das unverhoffte, ein Moment reiner Freude - für Winnie. Worüber lachen wir? Über das Unglück der Anderen - wie Beckett meint? Oder dass auch das Schweigen ein kommuni-kativer Akt ist., ja - wie beruhigend, daß es keine Nicht-Kommunikation gibt?

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