Kritiken I Beckett: Nicht Ich, Damals - Glückliche Tage; Handke: Kaspar

Harold Pinter DER LIEBHABER

Spiel vom Suizid des Lebens - aber angeheitert

Wie auf Treibsand von Jutta Baier

Theater in der Uni inszeniert Franz Xaver Kroetz WUNSCHKONZERT

Harold Pinters Stücke bestehen aus vorgefertigten Teilen, die auf dem Fließband des Boulevards anrollen; alles scheint vorhersehbar, die glückliche und ordentliche Auflösung des Plots nur eine Frage der Zeit. Aber dann gibt es eine Störung im Mechanismus, in der Endmontage paßt nichts mehr zusammen. Pinter hebt sowohl die Gattung Boulevardstück aus den Angeln wie seine Figuren, wie den Zuschauer. Am Ende sind wir alle Genarrte.

So auch im 1963 entstandenen Einakter „Der Liebhaber". Die Exposition ist so einfach wie möglich: Richard und Sarah führen eine moderne Ehe mit akzeptierter wechselseitiger Untreue. Sarah empfängt während der Bürostunden Richards ihren Lover, Richard sucht seinerseits in regelmäßigen Abständen eine Prostituierte auf.

Dieses simple Arrangement entpuppt sich indes als Schein. Der Geliebte Sarahs ist in Wahrheit Richard, und Sarah verkörpert die Parkbankhure von Richards sexuellen Phantasien. Doch auch diese Wendung ist noch konventionell. Der typische Pinter-Kick setzt erst ein, wenn die beiden sich hoffnungslos in ihren Rollen verheddert haben, sie selber Fiktion und Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden können. 

Johne Wayne kehrt zurück     im Theater in der UNI

‚Johne Wayne kehrt zurück‘  heißt das Stück von Falk Bayerl, das er am Theater in der UNI inszeniert hat. Die suggestive Behauptung mag dem Publikum Erinnerungsschauer an jene Western heraufbeschwören, in denen ein markiger Held siegt. Oder sie mag eine kritische Satire ahnen lassen, die mit der rassistischen und antikommunistischen Hetze, an der John Wayne im Vietnam Kriegszeiten beteiligte, abrechnet. Aber dem Publikum  wird das Wohlbefinden in der eignen Identität heimlicher Wunschbilder oder moralischer Entrüstung genommen. Das Bild John Wayne ist nur ein Gleichnis.

Zwei Männer, der eine knapp Dreißig, der andere über Fünfzig, bekämpfen sich zwei Stunden lang auf der Bühne.  Angeblich sucht der jüngere bei dem alten für eine Nacht auf der Durchreise ein Hotelzimmer. Er tritt als vielbeschäftigter, weit herumgekommener Reisender auf, der bei der Zimmer Nachfrage um Mitternacht an der verwahrlosten Hotelrezeption sofort in selbstgefälliger Weltkenntnis auf den verdutzten Alten einredet, so als gehöre die ganze Welt. ‚Was für eine Welt!‘ entgegnet der Alte, der nie aus seinem Hotel weitab von allem herausgekommen ist.

Das Hotelschild aus früheren Zeiten führt in die Irre. Er kann kein Zimmer mehr vermieten. Aus Notwehr oder Bosheit will er dem jungen Eindringling dennoch die Bedeutung einer sicheren Unterkunft erklären, die er kaum Aussicht habe hier in der Gegendzu finden. Zum Abschluss dieser ersten Konfrontation zwischen zwei Männern requiriert der abgewiesene Gast einfach ein Zimmer.

Die Inszenierung von Falk Bayerl hebt vom ersten Moment an das Artifizielle der Situation hervor. Wir sehen eine Versuchsanordnung, bestehend aus zwei Probanden (intensiv gespielt von Carmen Bayerl und Arne Fuhrmann) und einem Leiter (Falk Bayerl), der vom Technikpult aus Pinters Regiean-weisungen wie Arbeitshypothesen einblendet. Von seinem Willen gesteuert, führen die Figuren ein Duell mit ihren eigenen erotischen Phantasmagorien vor. Dabei stehen sie von Anfang an auf schwanken-dem Boden. Der Schein ist ebenso faktisch wie die Fakten Schein sind. Die Wirklichkeit ist nicht mehr zu erkennen.

Bayerl geht damit das Risiko von Reibungsverlusten ein, aber es ist ein kalkuliertes Risiko. Er macht sie wett, indem er Pinters Philosophie gleichsam in nuce vorführt. Die Wirklichkeit ist wie „Treibsand" hat Pinter einmal gesagt, und diese Unsicherheit, diese vage Bedrohung ist es, die die Aufführung vor allem spürbar macht.                                  FrankfurterRundschau

Thema des zweiten Teils ist Lust, die Frau. Für den Jungen gilt eine Frau nur als kurze Eroberung, umso mehr braucht er es, davon zu erzählen. Endlich haben die Männer ein Thema, das sie beide fesselt. Aber nun nützt der Junge die Verlassenheit des Alten, der von einer Frau nicht mehr zu träumen wagt, aus. Der Alte geht hinaus und beendet den Dialog, als der Junge ihm vorspiegelt, gleich werde sein gutgelaunter Intimus, John Wayne, auf einen Sprung hereinschauen. Er habe ihn nach einer Nacht mit einer lästig werdenden Frau angerufen und sich verabredet.

Von draußen ist ein Schuss zu hören. „Jetzt hat er sich eine Kugel in den Kopf geschossen“, kommentiert der Junge zynisch den Fakt, der dem Publikum wie ein befreiender Gag erscheinen mag. Mit dem Tod des Alten kehrt aber auch jemand zurück, nicht Idol John Wayne, sondern die sitzengelassene Frau, die leicht und mit Nonchalance nur den Schlusssatz des Stückes spricht, indem beide wie Leichenfledderer das herrenlose Haus des Alten in Besitz nehmen.

Falk Bayerl hat das Nervende des Aneinander Vorbeiredens sprachlich und dramaturgisch präzis erarbeitet. Frank Bollinger lässt den jungen Aufschneider mit seiner Lässigkeit als den unglücklich Betrogenen erscheinen. Hermann Altmann, als der ums Letzte gebrachte einsame Alte, spielt vorsichtig die Nuancen mürrischer Verletzlichkeit.

In der beabsichtigten Monotonie des ersten Akts, könnten durch die Regie und Darsteller noch ein paar Kontraste präziser herausgearbeitet werden, um nicht statt Boshaftigkeit Müdigkeit aufkommen zu lassen.

Ilse Braatz Hessischen Rundfunk

1972 hat Franz Xaver Kroetz auf ein paar Seiten minuziöse Szenenanweisungen für die stumme Zurschaustellung der Abendbe-schäftigung einer in ihrer Wohnung mit einem Radiowunschkonzert alleingelassenen kleinen Angestellten aufgereiht. Da muß sie mit pedantischer Sorgfalt Hausarbeiten erledigen, Abendbrot richten, Fernseh- und Radioprogramm prüfen, sich für das Wunschkonzert entscheiden, einen Teppich nach Heimarbeiteranlage knüpfen, zwischendurch ihre Häßlichkeit kosmetisch pflegen und säuberlich Klobesuche hinter sich bringen. Weil sie beim Zubettgehen nicht gleich einschlafen kann, nimmt sie eine Schlaftablette, kommt durch die Gebrauchsanweisung darauf, alle Tabletten des Röllchens zu nehmen: »Dann wartet sie ruhig und bedächtig, aber auf ihrem Gesicht ist plötzlich Interesse festzustellen.« Das ist das Ende.

Man erfährt nichts von der Geschichte und der Persönlichkeit dieser Frau, nur, daß sie anscheinend keine hat. Und daß die Leere der öffentlicherseits ihr ins Haus geschickten Unterhaltung ihr den Rest gibt.

Dem Enstehungsjahr entsprechend - die Linke beschäftigte sich gerade mit den  Lebensbedingungen der Arbeiter - ist das Stück eine Anklage gegen die Deformation des Menschen durch den den Freizeitleerlauf im Kapitalismus. Jedoch bei einer der heutigen Zeit angemessenen Inszenierung haben Falk Bayerl als Regisseur und Carmen Bayerl (als die zur Stummheit verurteilte Frau) in Frage gestellt, ob es eine so anonyme Dumpfigkeit geben kann, und kein Zoologicum natura-listisch zur Schau gestellt.

Carmen Bayerl spielt eine Frau, die gefallen und geliebt sein möchte, Charme für ein eingebildetes Gegenüber entwickelt und Sinn

für Genuß hat. Es fehlt ihr auf der Bühne einfach ein DU. Darum unternimmt sie alle häuslichen Verrichtungen so umständlich wie möglich, denn die Prozeduren der Tätigkeiten unterhalten sie noch einigermaßen, verhüten einen Verzweiflungsausbruch. Die Schlaftabletten schließlich nimmt sie mit Sekt und tanzend, in dem Triumph, sie habe doch die Wahl gehabt.

Carmen Bayerl spielt im Gesicht und manchmal unter der Starrheit erwachender Gestik ein unterdrücktes und vor innerer Erwartung entzücktes Leben, das der Autor seiner Figur absprechen wollte. Kroetz hat die Frau in ihrer Spielunfähigkeit wie ein Erfüllungsgehilfe des Kapitals umgebracht. Carmen und Falk Bayerl lassen sie mit ihrer Rolle spielen und in ihrem amüsanten Suizid das Publikum provozieren: Wie allein bin ich mit mir in einer entschieden sinnlosen Welt? Wie vertreib ich mir die Zeit? Soll das wirklich morgen wieder von vorne losgehen? Also, auf die letzte Weise, zumindest seinen Spaß suchen!

Das hat ohne Worte auf der Bühne viele kleine Überraschungen, und man ist gespannt, ob die Schauspielerin mal ihre ganzen kleinen Utensilien, mit denen sie hantiert, auf einen Ruck hinschmeißt und das Zeit-Totschlagen ihrer Rolle sein läßt. Aber präzis erarbeitet, beherrscht sie sich, und ein wie sie allein gelassener Zuschauer kann darüber nachdenken, wie man sich (leider, leider) durch Arbeit beherrschen kann. Dann wird das Schlussmachen der Arbeitsamen vollends zum Gag. Aber auf den Sekt kriegen wir Appetit.

Ilse Braatz - Pflasterstrand

deutsch sprach schutzen

Theater in der Uni spielt Ernst Jandls „die humanisten”

t-t-t-t-t Ein Feuerstoß aus einer Ma-schinenpistole, die beiden “bruderen sinken zu Boden. Ein Heldentod für burgentheatern und operan, für gott und vaterland. für die ..schöön - deutsch - spraach".

Zwei schwarzgekleidete Terroristen haben ..diesen zweien" niedergemacht, weil sie ..österreich. vaterland. besudelt haben". Makabres Ende der beiden Humanisten- und letzte Szene des gleichnamigen Stücks von Ernst Jandl. das Falk Bayerl für das Theater in der Uni inszeniert hat.

Mit viel Wut im Bauch hat der Wortkünstler Jandl ..die Humanisten geschrieben. 'im Frühjahr 1976 als Auftragsarbeit für das Literatursym-posion des ..Steirischen Herbstes". Ein Jahr zuvor hatte sich dort anläßlich der Aufführung von Wolfgang Bauers Stück ‘Gespenster’ eine Bürgerinitiative zu Wort gemeldet mit der Parole ..Rettet den Steirischen Herbst", was - so Jandl - nichts anderes hieß als: ..Vernichtet das einzige große internationale Avantgardefestival, das es in Österreich gibt". Gegen diese Retter des Abendlands richtete sich sein Stück - mit provokativer Bürgerschreck-Geste. die inzwischen fast als Pose erscheint.

Auf der kahlen. weißen Bühne treffen sich zwei Männer. "Ich sein ein universItäten professor kapazität von den geschichten-, prahlt der eine. ."Ich sein ein groß deutschen und Inder national kunstler" kontert der andere. Und da beide ..sein ein nobel preisen", verbrüdern sich die Aerren kollegen", um ..deutsch sprach und kunst schutzen".

Präzise und  mit scharfer Kontur spielt Klaus Jeziorkowski den Professor, einen erzreaktionären Biedermann. in grauem Anzug und roter Fliege. dem Jandls zugespitzte Sätze ganz selbstverständlich böse von' den Lippen kommen. Walter Spaleck als .,Kunstler" steht etwas in seinem Schatten. Trotz Augen-rollen und manch übertriebener Geste überzeugt jedoch auch er, vor allem durch genaues, nuancenreiches Sprechen. Lakonisch knapp, die Inszenierung Bayerls, ganz auf die beiden Schauspieler konzentriert. ohne irgendwelche Regiemätzchen. Ihm ist gewiß nicht anzulasten. daß Jandls Abrechnung mit dem ewigen Spießer etwas antiquiert erscheint. Es liegt am Stück selbst: brillante Sprache. doch anachronistische Figuren.

rieb. FrankfurterAllgemeine

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